Freitag, 23. Mai 2014

Nürnberg



Sozialräume und Wahlverhalten in der mittelfränkischen Metropole 



                                          Imagefilm Nürnberg (Quelle: youtube)





Aufgrund der Geschichte entsprechen die kommunalen Grenzen in der Region Nürnberg auch heute noch nicht den tatsächlichen Verflechtungen. Das wird besonders an der praktisch im Stadtbild nicht sichtbaren Grenze zwischen der ehemaligen Freien Reichsstadt Nürnberg und der Nachbarstadt Fürth deutlich, auch wenn sich die Städte nach wichtigen Sozialindikatoren erheblich unterscheiden. Hinzu kommen in dem mittelfränkischen Ballungsraum noch in etwas größerer Entfernung zum Plärrer, dem Nürnberger Verkehrsknotenpunkt, die Städte Erlangen und Schwabach als weitere Mittelzentren.



Die Stadt in der Sicht ihrer Statistiker


In Nürnberg, wo die Stadtforscher und Statistiker bereits institutionell in einem gemeinsamen Amt eng zusammenarbeiten, hat man die Stadt mit ihren fast 500.000 Einwohnern in 10 Stadtteile mit insgesamt 97 Statistischen Bezirken unterteilt. Dabei haben diese Stadtteile anders als etwa in Bremen oder Nordrhein-Westfalen keine Funktion in der kommunalen Selbstverwaltung, sondern sind reine Zählbezirke; denn in Bayern ist eine räumliche politische Ebene unterhalb des Stadtrates nur in Millionenstädten, also ausschließlich für München, vorgesehen.

Um die Wahlergebnisse besser analysieren zu können, haben die Nürnberger Stadtstatistiker seit 2008 eine sozialräumliche Typisierung ihrer Stadt vorgenommen. Dabei haben sie sich weniger von einem theoretischen Modell, sondern von den empirischen Daten Nürnbergs leiten lassen. Als Grundlage ihrer Typisierung diente daher eine sogenannte Clusteranalyse, mit deren Hilfe sich von den Daten her ähnliche Raumeinheiten zu Gruppen oder Clustern zusammenfassen lassen.

In Nürnberg hat man bei dieser statistischen Datenanalyse Indikatoren aus drei Bereichen in 270 statistischen Distrikten herangezogen und ist im Ergebnis zu sechs Typen gelangt.

Die Bildung dieser Cluster, also relativ homogener Gebietseinheiten, die sich von anderen deutlich unterscheiden, hängt nicht zuletzt von den betrachteten Indikatoren ab, auf die hin die Ähnlichkeit errechnet wird. In Nürnberg wurden 10 soziodemografische (u.a. Anteil der Migranten, Senioren, Einpersonenhaushalte), sechs sozioökonomische (u.a. Arbeitslosen- , Hartz IV-Bezieher-Quote) und zwei physiognomische Indikatoren (Anteil der Ein- und Zweifamilienhäuser, Bebauungsdichte) herangezogen. (2008, S. 1)

Dabei fällt auf, dass Merkmale für den sozialen Status eines Gebietes, also der Arbeiteranteil, der Anteil der Bewohner mit Abitur, das Durchschnittseinkommen oder die Wohnfläche pro Kopf fehlen. Es kann daher nicht überraschen, wenn dieser zentrale Faktor der Sozialraumanalyse in der Typisierung der Nürnberger Stadtforscher und -statistiker keine Rolle spielt.

In der folgende Übersicht sind die Ergebnisse der Analyse zusammengefasst, indem den Typbeschreibungen, die stark durch die Lage der Gebietseinheiten innerhalb der Stadt und ihren physiognomischen Eindruck geprägt sind, die besonders auffälligen Indikatorenwerte gegenübergestellt werden.



Die Nürnberger Gebietstypen von 2008 und ihre Indikatoren


Typ Beschreibung Indikatorenwerte
I Alt-/ Innenstadtgebiete Viele Single-Haushalte
II Innenstadtrandgebiete Viele Migranten
III Durchzugsgebiete entlang innenstadtnaher Industrie-/ Gewerbeflächen Sehr viele Migranten
IV Aufgelockerte städtische Randgebiete Geringe Bebauungsdichte
V Ländlich geprägte Gebiete Wenige Migranten, geringe ökonomische Belastung (Hartz IV, Arbeitslosigkeit)
VI Wohnquartiere für Familien mit Kindern Viele große Haushalte, auch von Migranten
Quelle: 2008, S. 2f.


Aufgrund der vorgegeben Indikatoren werden dabei der familiale Status sowie der Ausländer- und Benachteiligungsstatus gut erfasst. Der soziale Status, wenn man ihn unabhängig von der sozialen Benachteiligung definiert, fehlt hingegen wweitgehed, wie es aufgrund der Indikatorenauswahl zu erwarten war. Das zeigt sich sehr deutlich, wenn man die Nürnberger Typen durch die Faktoren der klassischen Sozialraumanalyse zu definieren versucht, was die folgenden Übersicht versucht.


Ähnlichkeiten zwischen den Nürnberger Typen und der klassischen Sozialraumanalyse

Nürnberger Typ Entsprechung in der klassischen Sozialraumanalyse
Typ I Gebiete mit niedrigem familialem Status (Single-Viertel)
Typ II Gebiete mit hohem Benachteiligungsindex
Typ III Gebiete mit hohem Benachteiligungsindex und hohem familalen Status
Typ IV Gebiete mit niedrigem familialem Status (Rentner-Viertel)
Typ V Gebiete mit niedrigem Ausländerstatus
Typ VI Gebiete mit hohem Ausländer- und familialem Status




Die Revision der Typisierung im Jahr 2010



Bereits 2008 unternahmen die Nürnberger Statistiker eine Fortschreibung ihrer Typisierung. Dabei zeigte sich, dass ein Sozialraumtyp von 2008 „nicht mehr
klar separierbar war“ (2010, S. 2). Nachdem bei der Typisierung des Jahres 2008 noch zwei Sozialraumtypen die sozial belasteten Distrikte umfassten, zeigte sich knapp drei Jahre später, „dass diese Ausdifferenzierung so nicht
mehr vorhanden“ vorhanden war (2010, S.3). Die Zusammenfassung betraf die alten Typen II und III. Die neuen Nürnberger Typen werden in der folgenden Übersicht aufgelistet.


Fünf statt sechs: Die Gebietstypen von 2010


Nürnberger Typ Entsprechung in der klassischen Sozialraumanalyse
I: Alt-Innenstadtgebiete Gebiete mit niedrigem familialem Status (Single-Viertel)
II: Innenstadtrandgebiete Gebiete mit hohem Benachteiligungsindex
III: Durchzugsgebiete an innenstadtnahen Gewerbeflächen Gebiete mit niedrigem familialem Status (Rentnerviertel)
IV: Ländlich geprägte Gebiete Gebiete mit hohem familialem Status (Viertel mit jungen Mehrpersonenhaushalten)
Typ V: Wohnquartiere für Familien mit Kindern Gebiete mit hohem Ausländer- und hohem familalem Status


Die räumliche Verteilung der Sozialräume




Für den familialen Status, der bei dieser Typisierung mithilfe der Clsteranalyse eine gewichtige Roll spielt, entspricht die gefundene räumliche Verteilung der Typen über das Stadtgebiet den aus der Sozialraumanalyse bekannten konzentrischen Kreisen. So schließen sich, wie die Karte aus der Nürnberger Veröffentlichung zeigt, an den Typ I im Stadtzentrum die Typen II, also die „Innenstadtrandgebiete“, und IV „Ländlich geprägte Gebiete“ nach außen hin an.

Einer weniger eindeutigen Verteilung folgen die Typen III und V.


Verteilung der fünf Sozialraumtypen im Nürnberger Stadtgebiet


Quelle: Sozialräume im Wandel. 


Der soziale Status der Sozialräume


Will man auch den sozialen Status von Quartieren einbeziehen, muss man die Analyse ergänzen. Dazu bietet sich unter den veröffentlichten Indikatoren vor allem die Wohnfläche pro Einwohner an. Eine Absicherung dieser Zuordnung kann durch die Höhe der Wahlbeteiligung erfolgen, da gegenwärtig in Deutschland ein enger Zusammenhang zwischen beiden Merkmalen nachgewiesen ist.


Die fünf Bezirke mit dem höchsten und niedrigsten sozialen Status

Stat. Bezirk Wohnfläche je Einwohner in qm 2009 Wahlbeteiligung bei der Stadtratswahl 2014 in %
Schmausenbuckstraße
61,1
65,8
Erlenstegen
59,6
60,0
Thon
52,3
61,3
Kornburg
49,0
57,8
Bielingplatz
48,8
51,0




Rangierbahnhof-Siedlung
27,4
47,4
Gibitzenhof
30,4
28,5
Dianastraße
31,2
20,8
Schweinau
31,9
24,6
St. Leonhard
32,6
30,5
Quelle: Strukturdaten 2013 und Kommunalwahl 2014.



Auch wenn die Konzentration auf nur ein sozialstrukturelles Merkmal nicht mit dem Gültigkeitsanspruch der multidimensionalen Clusteranalyse konkurrieren kann, werden klare räumliche Verteilungsmuster erkennbar, deren Ergebnisse durch eine parallele Verteilung der Bezirke nach der Höhe der Wahlbeteiligung abgesichert werden. Das belegt ein Blick auf den Stadtplan, wenn man die Statistischen Bezirke mit den höchsten und niedrigten Werten (vgl. Tabelle) für das Merkmal „Wohnfläche je Einwohner“.

Die Gebiete mit einem hohen sozialen Status findet man danach vor allem am nordöstlichen Stadtrand, und zwar vor allem entlang der Pegnitz und am Wöhrder See sowie in der Nähe des Tiergartens.

Wasser und Wald sind damit auch in Nürnberg wichtige Determinanten für ein bevorzugtes Wohngebiet, in dem die Grundstücke „etwas“ teurer sind.

Den Gegenpol hierzu bilden Quartiere am südwestlichen Innenstadtrand westlich des Frankenschnellweges. Dabei handelt es sich häufig um ehemalige Industriearbeiterviertel mit den entsprechenden ökologischen Belastungen, in denen inzwischen viele Migranten leben



Sozialräume und Wahldaten 2008 – 2014


Vor dem Hintergrund dieses heterogenen Materials soll eine sozialräumliche Analyse der Nürnberger Wahlergebnisse erfolgen, wobei vor allem auf die Auswertungen der Stadtforscher und -statistiker zurückgegriffen werden kann.

Daneben verdienen allerdings einige Stadtbezirke eine ganz besondere Beachtung, da sie nicht in ein einfaches sozialräumliches Schema zu passen scheinen. Darauf hat bereits die hohe Wahlbeteiligung in der Rangierbahnhof-Siedlung hingewiesen (vgl. Tabelle), die sehr untypisch für den in zahlreichen aktuellen Studien nachgewiesenen allgemeinen Zusammenhang zwischen einem niedrigen sozialen Status und einer geringen Wahlbeteiligung in einem Wohngebiet ist.


Die Entwicklung des Wahlverhaltens in Nürnberg


Abweichend von vielen anderen deutschen Städten findet man in Nürnberg sehr stabile Wählerstrukturen bei den klassischen großen Parteien, und das sogar über den fast siebzigjährigen Zeitraum zwischen der ersten Nachkriegswahl im Jahr 1946 und der letzten Stadtratswahl 2014. So haben die dominierenden Sozialdemokraten trotz der Konkurrenz durch die Grünen und die Linken nur 1,7-Prozentpunkte verloren.

Die wichtigsten Änderungen in diesem Zeitraum waren auch in Nürnberg der Aufstieg der Grünen und das Anwachsen einer reihe kleiner Parteien und Wählervereinigungen im Stadtrat, wo keine 5-Prozenthürde besteht. So setzt sich nach der Wahl 2014 der 70-köpfige Stadtrat aus Vertretern von 10 Parteien und Wählervereinigungen zusammen, von denen drei nur mit einem Sitz vertreten sind. Hierfür waren wenigstens ca. 1,7 % der Stimmen erforderlich.

Entwicklung der Nürnberger Wähler im Zeitraum 1946-2014

Partei
1946
2014
Differenz
SPD
45,8
44,1
-1,7
CSU
35,6
29,4
-6,2
FDP
5,4
2
-3,4
KPD/ DKP/ Linke
9,2
4,1
-5,1
Grüne
-
9
9
Sonstige
4
11,4
7,4
Quelle: wikipedia.


Das Wahlverhalten in den Sozialräumen

Die Kommunalwahl 2008 konnte erstmals mit Hilfe dieses Typisierungsschemas analysiert werden, um so sozialräumliche Schwerpunkt der Parteien herauszuarbeiten.


Die Stadtratswahl 2008 in sechs Sozialraumtypen


Die in Nürnberg entwickelte Typisierung des Stadtgebietes wurde erstmals für eine Analyse der Wahlergebnisse bei der Stadtratswahl 2008 eingesetzt. Dadurch konnte man nicht nur die Ergebnisse ähnlicher Untersuchungen in anderen Städten mit denen Nürnbergs vergleichen, sondern auch zusätzliche Informationen über die kleineren Wählergruppen erhalten, die speziell in der ehemaligen Reichsstadt aktiv sind.




Stadtratswahl 2008 in den sechs Gebietstypen

Partei
Typ I
Typ II
Typ III
Typ IV
Typ V
Typ VI
Wahlbeteiligung
48,0
38,8
33,4
49,0
61,4
51,5
CSU
24,2
24,2
22,8
31,5
36,3
32,0
SPD
43,9
47,5
45,2
46,3
41,2
44,3
Grüne
12,4
7,9
9,5
5,4
7,4
6,1
BI Ausländerstopp
2,2
4,0
4,1
4,0
3,1
4,3
FDP
3,6
2,9
2,0
2,5
3,2
3,2
Die Guten
4,6
3,2
4,2
1,7
1,7
1,4
Linke Liste
5,7
7,4
8,7
5,2
3,5
4,5
Sonstige
3,3
2,9
3,5
3,4
3,8
4,1
Quelle: Stadtratswahl 2008, S. 8


Bei der Höhe der Wahlbeteiligung und den Anteilen der bundesweit vertretenen Parteien zeigen sich die Muster wie sie auch in anderen Städten wie etwa Bremen gelten. So weisen die sozial benachteiligten Gebiete (Typ III) eine niedrige Wahlbeteiligung und hohe Anteile für die SPD auf. Ebenfalls ist hier die Linke besonders stark, während die FDP in diesem Gebietstyp ihr schlechtestes Ergebnis verbuchen muss.

Auch wenn die Grünen 2008 n Nürnberg nicht besonders stark waren, weist auch der Typ I ein besonderes politisches Profil auf. Hier liegen nicht nur die Hochburgen der Grünen, sondern auch die der Nürnberger Wählergemeinschaft „Die Guten“.


Diese auf soziokulturellen Themen ausgerichtete Gruppe setzt sich nach ihrer Selbstdarstellung „für eine kreative und phantasievolle Weiterentwicklung“ Nürnbergs ein. Ein Großteil der Stadtratskandidaten sind Kulturschaffende, also Filmemacher, Fotografen und andere Künstler, was sich nicht zuletzt in kreativen Protestaktionen und Wahlkampfauftritten zeigt. So wurden bei der Kommunalwahl 2014 die Plakate von Studenten der Nürnberger Kunstakademie gestaltet, womit die „Guten“ einen Kontrapunkt zur Null-Acht-Fünfzehn-Wahlwerbung der großen Parteien gesetzt haben.

Auch von der sozialräumlichen Verteilung her unterscheidet sich die Bürgerinitiative Ausländerstopp, die ihr zentrales Ziel bereits als Namen nennt, denn ihre Schwerpunkte liegen nicht in Quartieren mit einer Alternativkultur, sondern eher in sozial benachteiligten Gebieten, wo sie beinahe doppelt so hohe Wahlergebnisse erzielt hat, aber auch ehersuburbanenn gebieten mit einem hohen Ausländeranteil.



Die Stadtratswahl 2014 in fünf Sozialräumen



Die Ergebnisse der Stadtratswahl 2014 wurden mit dem aktualisierten Typsierungschema analysiert, das vor allem in einer Vereinfachung für die üblicherweise als sozial benachteiligt charakterisierten Gebietstyp besteht. Hier hat man daher jetzt mit den innenstadtnahne Altbaugebieten, in denen sich eine Alternivkultur entwickelt (Typ I), und den sozial benachteiligten Quartieren (Typ II) zwei Sozialraumtypen ausgewiesen, die sich in dieser oder zumindest einer ähnlichen Form auch in anderen Städten finden lassen.


Die Ergebnisse der Stadtratswahl 2014 (Wähleranteile in %)




Partei
Typ I
Typ II
Ty III
Typ IV
Typ V
Wahlbeteiligung
44,4
30,1
41,5
55,6
44,8
CSU
21,2
21,2
26,6
33,4
30,2
SPD
44,7
46,1
47,4
44,8
45,3
Freie Wähler
2,4
2,1
2,6
2,7
2,8
Grüne
13,6
10,2
8,0
7,9
8,5
Linke Liste
5,6
8,5
4,9
2,4
3,3
BfA
2,1
3,3
3,8
2,6
3,4
FDP
2,5
1,4
1,4
1,8
1,6
Die Guten
3,0
2,8
1,5
1,2
1,0
ÖDP
2,4
1,8
1,9
2,1
2,2
Piraten
2,6
2,6
1,9
1,0
1,6
Stimmbezirke
56
65
119
126
22
Quelle: 2014, S. 8


Das sozialräumliche Verteilungsmuster der Wähler hat sich offenbar trotz der abgelaufenen fünf Jahre und der revidierten Typeinteilung nicht grundlegend geändert. Die innenstadtnahen Altbaugebiete stellen weiterhin die Hochburgen der Grünen und auch die „Guten“ und die ÖDP sowie die Piraten, schneiden hier besonders guut ab.

Allerdings besitzen die Piraten eine gleichstarke Position in den sozial benachteiligten Gebieten, die auch in Nürnberg eine niedrige Wahlbeteiligung und hohe Anteile für die SPD un vor allm die Linke aufweisen.

Die Hochburgen der beiden großen Parteien liegen hingegen in den übrigen Gebietstypen, so der SPD in innenstadtnahen Gebieten mit einem hohen Anteil von Rentnerhaushalten (Typ III) und der CSU in den eher ländlch geprägten Gebieten (Typ IV)




Exemplarische Sozialräume




Die Sozialräume sind nicht nur wissenschaftliche Artefakte, sondern lassen sich in praktisch jeder größeren Stadt auch an ganz konkreten Beispielen erleben. Das gilt auch für Nürnberg.

Wenn man also die farbige Realität kennenlernen will, die hinter den Ergebnissen von Clusteranalysen und vielen Ziffernketten von Indikatoren stecken, kann man das selbst in Quartieren erleben, die den Merkmalen der Clusterbildung fast idealtypisch entsprechen.

Im folgenden wurden als Beispiel vier bekannte Nürnberger Stadtteile ausgewählt, die auch ohne große Datenanalyse als ganz besondere Quartiere wahrgenommen werden. Das ist sicherlich teilweise auf ihre gute Repräsentation einzelner Sozialraumtypen zurückzuführen. Hinzu kommt jedoch auch ihre besondere Individualität, die unabhängig vom weltweit geltenden Modell der Sozialraumanalyse nicht übersehen werden darf.



Strukturdaten typischer Nürnberger Quartiere



Bezirk
Wohn-fläche/Einwohner 2009
Single-Haus-
halte
18 - 35 (1)
Wohnungen
in 1- und 2-Familen
häusern
Wohnun
gen in
Altbauten
(vor 1918)
Auslän-
der
2009
Arbeits-
lose
2009
Hartz IV-
Empfän-
ger (1)
Erlenstegen
59,6
8,1
42,1
6,2
5,3
2,3
1,2
Gostenhof
33,7
25,8
2,6
48,5
39,4
12
18,8
Langwasser-Nordwest
37,4
6,6
10,1
0,1

11,2

7,3
11,4
Rangierbahn-hof-Siedlung
36,6
8,6
5,4
2,4
13,3
5,8
8,6
Quelle: (1) Strukturdaten. sonst: Interaktiver Bezirksatlas.


Wie die Tabelle der vier exemplarischen Bezirke zeigt, verkörpern Erlenstegen und die Rangierbahnhof-Siedlung jeweils ein Quartier mit einem hohen sozialen bzw. niedrigen sozialen Status. Das belegt einerseits die hohe Wohnfläche pro Einwohner in Erlenstegen, die mit extrem niedrigen Anteilen von Ausländern, Arbeitslosen und Hartz IV-Empfängern verbunden ist.

Ähnliche niedrige Werte für die Wohnfläche je Einwohner weisen zwar auch der Gostenhof und Langwasser-Nordwest auf, jedoch unterscheiden sich die weiteren Indikatoren. Besonders deutlich ist dabei der Unterschied gegenüber dem Gostenhof, der bereits von den Zahlen her ein innenstadtnahes Altbaugebiet mit überdurchschnittlich vielen Singlehaushalten und Ausländern, aber auch vielen Arbeitslosen und Hartz IV- Empfängern ist.

Die Besonderheit von Langwasser-Nordwest wird in den Indikatoren nicht optimal deutlich, da es sich hier um eine der Großsiedlungen der 60-er und 70-Jahre handelt, die in anderen deutschen Städten heute soziale Brennpunkte darstellen. Das scheint nach den Indikatoren in Nürnberg anders zu sein, da sich Langwasser keineswegs als Ghetto für sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen darstellt.

Das Wahlverhalten in diesen exemplarischen Sozialraumtypen entspricht dem zuvor für diese Typen insgesamt geschilderten Allerdings wurden jetzt zwei Quartiere mit einem abweichenden sozialen Status einbezogen, und ohnehin fallen in einzelnen Wohngebieten die Ausschläge in der Regel deutlich kräftiger aus als Durchschnitte für teilweise mehr als 100 Distrikte.


Stimmenanteile in % in den exemplarischen Bezirken bei der Nürnberger Stadtratswahl 2014




Bezirk
Wahlbe-teiligung
SPD
CSU
Grüne
FDP
Linke
BiA
FW
ÖDP
Die Guten
Pira-ten
Erlenstegen
60,0
31,8
41,3
11,2
4,5
1,7
1,3
2,7
2,2
2,0
1,0
Gostenhof
31,7
36,3
12,4
19,7
1,4
13,3
2,1
2,7
2,3
5,9
3,9
Langwasser-Nordwest
42,0
47,6
32,1
3,9
0,6
3,3
5,7
2,2
2,8
0,5
1,3
Rangierbahn-hof-Siedlung
47,4
68
16,5
3,1
0,4
4,1
3,7
1,9
1,0
0,5
0,9
Quelle: 2014, S. 21


So erscheinen die vier Quartiere in dem holzschnittartigen Bild, das die Sozialraumanalyse von ihnen zeichnet. Aber das ist nur ein Teil der Realität, die neben den groben Strichen von Typen immer viel unverwechselbare Individualität kennt.

Eine wichtige Ursache dafür ist die Geschichte der Orte. So hat sich das heutige Erlenstegen aus einem Dorf entwickelt, in dem schon seit Jahrhunderten Herrensitze wohlhabender Patrizier das Bild sonst bäuerliche Bild geprägt haben. Es war also nicht nur die Lage, sondern auch diese Vergangenheit und das mit ihr verbundene Image, durch die sich der Stadtteil im 20. Jahrhundert zu einem Villenvorort entwickeln konnte, der heute zu den begehrtesten Wohnlagen im Stadtgebiet zählt.


                               Stadtteilporträt Nürnberg-Erlenstegen (Quelle:youtube)



Die Voraussetzungen für seine heutige Funktion, die der gründerzeitlich-wilhelminische Stadtteil Gostenhof als innenstadtnahes Altbaugebiet besitzt, war seine attraktive alte Bausubstanz, die den Zweien Weltkrieg weitgehend unzerstört überstanden hat. Hier hat sich, als die Wohnungen noch nicht modernisiert waren, wegen fehlender Grünflächen und der Belastungen durch den Verkehr zunächst einen Innenstadtbereich entwickelt, in dem zunächst überwiegend sozial schwächere und ausländische Haushalte gelebt haben. So wohnten hier im Jahr 2005 über 40 Prozent Ausländer. Daher wurde der Gostenhof häufig als Nürnberger Bronx, „Klein-Kreuzberg“ oder „Gostambul“ bezeichnet. Auf die industrielle Vergangenheit, zu der eine Spiegelfabrik zählte, wies die nicht unbedingt positive Bezeichnung Glasscherbenviertel hin.

Im Zuge einer Sanierung und Modernisierung seit den 1980-er Jahren hat sich das geändert, als sich der Gostenhof zu einem stärker alternativen und multikulturellen Stadtteil gewandelt hat, für den inzwischen die Gentrifizierung ein Problem darstellen kann.

Seit dieser Zeit kamen Kneipen, verschiedenste soziale Initiativen und Künstlerwerkstätten in dieses Quartier, das durch die regelmäßig stattfindenden Gostenhofer Werkstatt- und Ateliertage GOHO ein verändertes Image entwickelt. Dazu tragen auch ein jährliches Stadtteilfest, bei dem alle in Gostenhof aktiven Parteien, Vereine und Initiativen mitwirken, sowie eine internationales Straßenfest am 1. Mai bei.


                                         Gostenhof (Quelle:youtube)



Einen Gegenpol zum Gostenhof stellt die Trabantenstadt Langwasser dar, die im Südosten Nürnbergs auf dem ehemaligen Reichparteitagsgeländes der NS-Zeit entstanden ist. Dort begann man 1957 mit dem Aufbau eines neuen Stadtteils für ca 40.000 Einwohnern, er erst Ende der 1990er Jahre in den Grundzügen abgeschlossen wurde. So konnte hier ein „Wohnen im Grünen“ in ganz unterschiedlichen Bauformen realisiert werden, die nur bedingt mit den Großwohnsiedlungen und verdichteten Hochhausquartieren anderer Städte vergleichbar ist.



                                          Langwasser (Quelle:youtube)

Einen wiederum ganz anderen Typ von Quartier verkörpert die Rangierbahnhof-Siedlung, in der sich noch Elemente einer alten genossenschaftlichen Tradition bewahrt haben. Dieser historische Hintergrund erklärt auch die ungewöhnliche Kombination von einer hohen Wahlbeteiligung und einem relativ niedrigen sozialen Status, wenn man ihn über die Wohnfläche pro Einwohner definiert. Hier hat sich offenbar durch den Zugang über die Wohnungsbaugenossenschaft eine starke soziale Integration bewahrt, wie sie noch im vorigen Jahrhundert für viele Arbeiterviertel typisch war.

Damit hat sich die Tradition einer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstandenen Eisenbahnersiedlung bewahrt, die nach Prinzipien der Gartenstadtbewegung geplant und gebaut worden ist.

So errichtete die Eisenbahner-Baugenossenschaft Nürnberg-Rangierbahnhof', aus der später die "Baugenossenschaft des Eisenbahnerpersonals Nürnberg und Umgebung (bde)" hervorging, ab 1907/1908 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs über 200 Wohnungen in knapp 40 Häusern. Eine Erweiterung erfolgte dann in den 1920-er Jahre.


Diese Siedlung unterscheidet sich nicht nur durch den genossenschaftlichen Hintergrund von ihrer Umgebung, sondern auch von der Bauform, bei der nicht ausschließlich auf die Kosten geachtet wurde, wie beim Geschossbau vieler Wohnungsbaugesellschaften. So erweckt die Siedlung, deren Ausgangspunkt ein „Burg“ genannter zwei- bis dreigeschossige Häuserkomplex auf einer kleinen Anhöhe ist, teilweise den Eindruck einer „barocken Kleinstadt“.

Der besondere Charakter dieses Quartiers lässt sich daher nicht nur aus der Geschichte ableiten oder in den aktuellen Zahlen finden, sondern wird auch visuell jedem Besucher deutlich. Das leistet der Zugang zur Siedlung, der im Nordosten über einen torähnlichen Eingang erfolgt.
 


                                     "Burg" (Quelle: wikipeddia, Foto: Achates)


Quellen:

Amt für Stadtforschung und Statistik für Nürnberg und Fürth (Hg.), Vor den Wahlen 2013. Teil 1: Strukturdaten und Wahlergebnisse, März 2013.

Sozialraumtypisierung – neue Grundlagen für Wahlanalysen und die Stadtteilplanung, in: Statistischer Monatsbericht für Januar 2008 vom 26. Februar 2008.

Kommunalwahl 2008 in Nürnberg, in : Statistik aktuell in Nürnberg und Fürth vom 02.03.2008.

Kommunalwahl 2014, in: Amt für Stadtforschung und Statistik für Nürnberg und Fürth vom 16.03.14.

Sozialraumtypisierung – neue Grundlagen für Wahlanalysen und die Stadtteilplanung, in: Statistischer Monatsbericht für Januar 2008 vom 26. Februar 2008.

Sozialräume im Wandel ? – Die Sozialraumanalysen 2008 und 2010 im Vergleich, in: Statistik aktuell in Nürnberg und Fürth. Statistischer Monatsbericht für Oktober 2010 vom 16. Dezember 2010.

Stadtratswahl am 02. März 2008.in : Statistik aktuell in Nürnberg und Fürth vom 12.03.2008.